Samstag war ich in Graz. Für das Spiel Deutschland gegen Schweden verschlug es mich in eine Innenstadt-Kaschemme.Beide Mannschaften sind mir Powidl, also Pflaume, wie man hierzulande sagt. Schweden ohne Seine Heiligkeit Zlatan Ibrahimović interessiert mich nicht und an der deutschen Nationalmannschaft stört mich eigentlich nichts, außer vielleicht das Design der Dressen, das heuer besonders hässlich geraten ist. Cristiano Ronaldo spielt auch in keiner der beiden Mannschaften, also who cares? Not me! Voll emotionaler Distanz setzte ich mich also in den Gastgarten und verfolgte das Spiel. Dann schossen die Schweden ein Tor und alle Dämme brachen. Mehr noch: Der österreichische Nationalstolz höchstselbst erbrach. Mittelschwer angetrunkene Männer fielen sich jubelnd in die Arme und feierten, als hätte das traditionell weltmeisterschaftsferne Österreich gerade das Turnier gewonnen. Anschließend plärrten rund ein Dutzend hochroter Schädel Verwünschungen und Beleidigungen in Richtung des Bildschirms und der deutschen Rasenballsportler.
Als Nichtösterreicher wundert man sich vielleicht über so viel einseitige Missgunst. Über so viel unerwiderte Häme. Dazu muss man wissen: Patriotismus in Österreich heißt vor allem: Beim Sport immer gegen Deutschland sein, dafür aber deutschnational wählen. Ein Widerspruch ist das nur, wenn man nicht weiß, dass bei vielen Österreichern die nationale Identität auf einem handfesten Minderwertigkeitskomplex fußt. Dass deutsche Fußballfans die Abneigung zumeist nicht erwidern, und darüber sogar lachen, macht das Verhalten der Austropatrioten nur noch erbärmlicher. Österreich ist aber viel mehr als nur ein Komplex. Österreich ist zum Beispiel auch das Land von Sigmund Freud. Und weil dieser den Minderwertigkeitskomplex in der oralen Phase verordnet hat, passte es hervorragend, dass der Wirt prompt eine Lokalrunde Schnaps spendierte. So ein Schwedentor gegen Deutschland will in Österreich immerhin gefeiert werden. Als der Lokalbesitzer in der Halbzeitpause merkte, dass mich die kollektive Euphorie nicht gepackt hat, suchte er ein einseitiges Gespräch mit mir. Mit tränenden Augen und vor Rührung zitternder Stimme brach es im breitesten Kärtnerisch aus ihm raus: „Heid is olläs wuascht, göl. Haubtsoch da debbade Deidsche vaa-li-at.“ Ich lächelte. Gleich würde er mir mit Cordoba kommen. Diesem zu Tode erzählten Heldenmythos, der in Wirklichkeit die Urkatastrophe des österreichischen Fußballs ist. Soweit wollte ich es dann doch nicht kommen lassen. Man hat ja seine Würde. Also beglich ich freundlich meine Rechnung, ließ den Schnaps ungetrunken stehen und verließ das siegestrunkene Etablissement. Schade eigentlich. Als Toni Kroos tief in der Nachspielzeit den Ball im Tor versenkte, wäre ich ganz gerne wieder dort gewesen.