Ich könnte, wenn ich wollte, vieles an Tokio loben: das jeden Ramen der Vorstellungskraft sprengende kulinarische Angebot, die atemberaubend-höflichen Menschen, die niedlich-nintendoiden Jingles der Getränkeautomaten und Verkehrsampeln, die ohrenbetäubend-leisen Fahrstühle, die sanft-beheizten Klobrillen oder den nach der Braunschweiger Atomuhr getakteten öffentlichen Nahverkehr. Aber man hat die einschlägigen Beifallsbekundungen schon tausendfach gehört. Jeder Mensch, der schon mal in dieser famosen Stadt zu Gast sein durfte und vorher nicht mit dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen durch die Kinderstube gerast ist, schwärmt von den Vorzügen der Hauptstadt Nippons. Eine Besonderheit geht im Meer des allgemeinen Tokiolobs aber zumeist unter, nämlich der verhaltenskreative Umgang der japanischen Textilindustrie mit der englischen Sprache.
Diese druckt hanebüchen formulierte Slogans auf Baumwollleibchen als gäbe es kein Tomorrow. Kein Anglist, in dem zumindest irgendwann mal ein Funken aufrechter Berufsethos geglommen hat, würde solch eine haarsträubended Maschenware jemals freiwillig überstreifen. Die tragbaren Gebrauchstexte gehen dabei weit über das hinaus, was man großzügig als Übersetzungsfehler durchgehen lassen könnte. Manche klingen eher so, als hätte man die Wörter zuvor mit Hilfe einer Bingotrommel gezogen. Dank ihrer undurchdringlichen Fremdheit entwickeln die textilen Nichtbotschaften schnell eine ganz eigene Anti-Qualität, die oft noch lange nach der Lektüre nachhallt.
So brütete ich eine 20-minütige U-Bahnreise lang über einen scheinbar existenziellen Satz, den ein junger Japaner rücklings auf seinem Blouson stehen hatte: „Time is a file that wears and makes no noise“. Vergeblich. Der Sinn dahinter, so es überhaupt einen gibt, blieb mir leider verschlossen. Am besten aber hat mir ein Aufdruck gefallen, den ich auf einem Shirt in einer Herrenboutique in Shibuya entdeckt habe: „Workaholic: Beautiful as a music in a fuckin’ face.“ Ist das eine Definition? Eine Provokation? Ein Kunstwerk? Eine politische Botschaft? Ein Irrtum? Oder vielleicht alles zusammen? Man weiß es nicht und genau das macht die Sache so rätselhaft schön. Schön wie Tokio.