Als in Wien unlängst österreichische Rechtsextreme in Räumlichkeiten der Republik zu einer rauschenden Ballnacht luden, waren die aufrecht gehenden Exemplare der Spezies Homo Sapiens zu Recht verärgert. Auch weil die Polizei angekündigt hatte, bei den Gegendemos ein Vermummungsverbot zu verhängen, folgten auf den Ärger schnell Taten. Die Taten sahen so aus: Menschen auf Facebook und Twitter luden neue Profilfotos hoch. Und zwar solche, auf denen sie mit verdeckten Gesichtern abgebildet waren.
Die scheinbar konstruktive Anteilnahme an echten Katastrophen, vermeintlichen Ungerechtigkeiten oder tatsächlichen politischen Schweinereien gehört zu sozialen Netzwerken wie der Like-Button zu Facebook. Der lautstark empörte Profilbild-Tausch ist dabei nur eine besonders peinliche weil selbstdarstellerische Form des gefahrlosen Büromenschen-Widerstands. Wenn ich mich durch meinen Twitter-Feed oder durch meine Facebook-Timeline kämpfe, nimmt mich das schier unübersichtliche Angebot an vollmundigen Weltverbesserungsprojekten immer wieder Wunder. Hier eine Rettungspetitionen für den vom Aussterben bedrohten nordafrikanischen Berberlöwen, dort eine Unterstützungsaktion für Opfer einer Naturkatastrophen. Hier ein Aufruf zur Beseitigung eines besonders übel beleumundeten Unrechtsregimes, dort ein Verdammungspetition wider die killerwalunwürdige Haltung von Killerwalen im Unterhaltungsaquarium Seaworld.
Hand in Hand mit dem Siegeszug des Internets feiert die Zivilcourage im 21. Jahrhundert ein erstaunliches Comeback. Leider verfolgt diese neue Form des zivilen Ungehorsams oft nur zwei Ziele, nämlich erstens die Beruhigung des eigenen Gewissens und zweitens die eitle Selbstdarstellung. Ein Mausklick hier, ein Like dort – und schon schmeckt der zeitgleich konsumierte Caffè Latte süßer als Stevia. Immerhin hat man gerade die obersten Hipster-Pflichten erfüllt: ein Zeichen gesetzt, soziales Gewissen bewiesen, zur politischen Bewusstseinsbildung beigetragen und obendrein noch billigen Applaus abgeholt. Tatsächlich getan hat man freilich nichts.
Ich werfe mal die Behauptung in den Raum, dass viele dieser Aktivitäts-Simulationen den berechtigten Anliegen tendenziell eher schaden als nutzen. Denn dort, wo Gewissen erst mal flächendeckend beruhigt ist, passiert erfahrungsgemäß gar nichts mehr. Und selbst wenn der billige Social Media-Betätigungsdrang keine Schäden anrichtet: Keinem einzigen Bewohner Nippons etwa war dadurch geholfen, dass junge Hornbrillenträger mit asymmetrischen Frisuren in den Tagen nach der Fukushima-Katastrophe ihre schicken Profilfotos auf Facebook durch den zinnoberroten Kreis des japanischen Sonnensymbols ersetzten.
Zum Schluss noch ein alternativhistorisches Denkspiel zum Thema: Stellen Sie sich vor, es hätte im Nationalsozialismus bereits Internet und soziale Netzwerke gegeben. Wie wäre dann das gescheiterte Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 abgelaufen? Ich sage es Ihnen: Gar nicht.
In dieser selbsterdachten Parallelwelt wäre der Graf von Stauffenberg nämlich nie auf die Idee gekommen, einen Sprengsatz in die Wolfsschanze zu schmuggeln. Stattdessen hätte der blaublütige Dissident aus Protest gegen das Verbrecherregime seine schwarze Augenklappe mit einer regenbogenfarbenen getauscht, ein Selfie geschossen und dieses auf Facebook hochgeladen. Damit wäre die Sache für ihn erledigt gewesen. Digitale Allüre statt Operation Walküre, sozusagen.