Faszinierend, abstossend, monströs, heftig, prometheisch, dämonisch, grotesk. Die Adjektive wollen mir nicht ausgehen, wenn ich an das merkwürdigste Pressefoto denke, das mir seit Jahren untergekommen ist. Es ist so schlimm, dass ich es in meiner Kolumne erst gar nicht abgebildet haben will. Selbst mit blinkender und sirenenunterstützter Trigger-Warnung will ich es den zart besaiteten Leserinnen und Lesern dieses Periodikums nicht zumuten. Wer es trotzdem sehen will, findet es im Netz. Es ist leicht zu googeln. Und da ich hier nicht für einen Diavortrag, sondern für eine Aneinanderreihung von Buchstaben bezahlt werde, beschreibe ich es mal lieber. Das Gruselfoto zeigt den glatzköpfigen Amazon-Gründer Jeff Bezos, wie er sich aus der Dunkelheit kommend über ein Silbertablett hermacht, auf dem Haubenköche aus der Hölle zuvor ein geflämmtes Echsenwesen arrangiert haben. Der bemittelte Dr. Evil-Doppelgänger blickt dabei gierig in die Leere, während er sich gleichzeitig an gebratenen Leguan-Schenkeln delektiert. Als mir das Bild zugespielt wurde, war mein erste Gedanke folgender: Verdammt, das muss ein Black Mirror-Spoiler sein! Dann fiel mir ein, dass ganz 2018 ein einziger Black Mirror-Spoiler ist.
Aufgenommen wurde das verstörende Bild übrigens in New York City. Genauer im „Explorers Club“, einem der exklusivsten Privatclubs der Welt. Ziel des gemeinnützigen Vereins ist die Unterstützung der wissenschaftlichen Erforschung von Land, Meer, Atmosphäre und Weltall. Der internationalen Presse entnahm ich, dass an besagtem Abend auch Vogelspinnen und Kakerlaken kredenzt wurden, also Tiere, die sich nicht unbedingt als Posterboys und –girls für den Artenschutz aufdrängen. Hätte man dort flambierten Säbelzahntiger oder gebackenes Mammut gereicht, könnte ich die Empörung verstehen, die Bezos auf Social Media prompt entgegenschlug. Aber eine invasives Vieh wie den Leguan? Kann man sich als experimentierfreudiger Karnivore schon mal ohne Gewissensbisse zwischen die Beisserchen schieben. Nein, was das Foto wirklich verstörend macht, sind die kritischen Folgefragen, die sich angesichts des elitären Echsenbuffets aufdrängen: Was sagen etwa unsere reptiloiden Overlords dazu, dass ausgerechnet Jeff Bezos einen der ihren so genüsslich degustiert? Immerhin soll der bizarre Milliardär angeblich selbst ein schuppenhäutiges Alien sein. Zumindest habe ich sowas in der Art schon mal im Internet gelesen. Und was im Internet steht, kann doch so falsch nicht sein, oder? Ist das hier also noch Nouvelle Cuisine oder schon Kriechtier-Kannibalismus? Vielleicht sollte ich einfach mal beim Amazon-Kundenservice nachfragen. Die sind ja sonst auch immer so fix.
Anm.: Der Text erschien im Rahmen meiner „Justified&Ancient“-Kolumne in der April/2018-Ausgabe des Schweizer Popkultur-Magazins RCKSTR. Die Schweizer Rechtschreibung wurde auch hier beibehalten.