Wenn man bei Google „VHS“ eingibt, kommt auf der ersten Seite kein einziges Ergebnis, das mit Heimkino zu tun hat. Stattdessen: Bildungseinrichtungen und verwandte Ödnis. Das macht mein Herz schwer. Jetzt verzehre ich mich danach, noch einmal in eine Videothek zu gehen, um mir dort einen Film auszuborgen.
So wie damals. Es ist 1985. Ich bin zwölf und betrete den Laden, in dem die Träume wohnen. Es riecht nach frischem Plastik, nach alten Duftbäumen und nach kaltem Rauch. Es riecht glamourös und schäbig zugleich. Mit hochrotem Kopf gehe ich am Extraraum mit den Erwachsenenfilmen vorbei. Verstohlen blicke ich am zugezogenen Vorhang vorbei und erspähe einen älteren Herrn Anfang 30 mit hochgezogenem Mantelkragen und Hut. Angewidert wende ich mich ab. Meine Blicke überfliegen die Schauwände mit den bunten Coverbildern. Soll ich „Krul“ nehmen? Oder doch „Mission Galactica – Angriff der Zylonen“? „Die Klasse von 1984“ hat ein tolles Cover! Vielleicht was aus Deutschland? „Drei gegen Drei“? Trio finde ich sowieso gut. Oder „Zwei Nasen tanken Super“? Nein, Mike Krüger ist ätzend. Und der andere Typ mit den blonden Locken sieht nicht viel besser aus. Was zum Lachen wäre nicht schlecht! „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Raumschiff“! Verdammt, das VHS-Plättchen fehlt. Der Film ist verborgt und nur mehr für Video 2000 da. Video 2000. Diese fremdartige Exotin, von der man sich in der Großen Pause hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass ihre Kassetten angeblich beidseitig bespielbar sind. Wahnsinn, was heutzutage technisch schon alles möglich ist! Mein Blick schweift ab zu den Horrorfilmen. „Ein Zombie hing am Glockenseil“ und „Avanaida – Todesbiss der Satansviper“! Die Namen der Filme verheißen das pure Grauen: Nein, die kriege ich zuhause nie im Leben durch. Und die Schmach, dass mich die Eltern mit der ungesehenen Kassette zurückschicken, will ich mir unbedingt ersparen.
So viele Filme und so wenig Taschengeld! Irgendwann nehme ich das blaue VHS-Plättchen aus dem Kästchen unter dem „Krieg der Eispiraten“-Cover, gehe damit zur Theke und überreiche es dem Videothekenmensch mit dem Mittelscheitel, dem Karohemd und der Studentenbrille. Dieser greift gelangweilt hinter sich und zieht aus einem weißen Schrank behände das schwarze Gold heraus. Dann packt er die Kassette in eine lexikongroße Plastikklappschutzhülle. Ohne mich anzusehen sagt er: „Das macht 30 Schilling. Die Leihfrist endet übermorgen. Und zurückspulen nicht vergessen. Kostet sonst 30 Schilling extra.“ Ich nicke artig und nehme den teuren Stoff gierig an mich. Dann verlasse ich das fantastische Etablissement. Es ist 1985 und ich bin mir sicher, dass es im fernen Jahr 2000 kein einziges Kino mehr geben wird. Dafür an jeder Ecke eine Videothek. Die Zukunft lässt sich nämlich nicht aufhalten, da bin ich mir sicher. Und die Zeit lässt sich nicht zurückspulen – im Unterschied zu einer VHS-Kassette.