In der Türkei sind hunderttausende Internet User auf Entzug. Cold Turkey sozusagen. Denn der amtierende Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Kurznachrichtendienst Twitter per Handstrich auf Eis legen lassen. Aus seinem Herz machte der polternde Autokrat dabei keine Mördergrube. In den einschlägigen Nachrichtenagenturen wird er wie folgt zitiert: „Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen. Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiert mich überhaupt nicht.“
Der bizarre Feldzug gegen die Social Media-Plattform verrät einiges, sowohl über den Machtmenschen Erdogan als auch über das Machtmedium Twitter. Da wäre zuerst Erdogan. Der Mann hat Angst. Angst vor dem Neuen. Angst vor dem Internet. Angst vor der Vernetzung seiner Gegner. Gerade für den Alpha-Politiker Erdogan ist Angst ein denkbar unangenehmer Gefährte. Den Angst vermittelt Schwäche. Man lehnt sich zudem nicht allzu weit aus dem weltpolitischen Fenster, wenn man prophezeit, dass Erdogan seine vollmundigen Ankündigungen nicht in die Tat umsetzen wird. Denn um Twitter an der Wurzel auszureißen, muss er erst zur Wurzel gelangen. Und die wächst bekanntlich in San Francisco. Will Erdogan also dem Kurznachrichtendienst tatsächlich den Gar auszumachen, muss er den türkischen Streitkräften wohl oder übel den Marschbefehl Richtung USA erteilen.
Ungefähr genau so wahrscheinlich ist es, dass das Twitter-Verbot in der türkischen Praxis dauerhaft funktionieren wird. Menschen in der Türkei werden Mittel und Wege finden, sich trotz staatlicher Abschaltung beim Kurnachrichtendienst wieder einzuloggen. Und mehr noch: Der Widerstand gegen den Anti-Atatürk wird durch die unbedachte Aktion an Strahlkraft gewinnen. Denn die Kunde vom türkischen Twitter-Troll wird sich als Retweet-Lauffeuer in der vernetzen Welt verbreiten.
In Wahrheit sollten sich die zeitweilig twitterlosen Regierungsgegner in der Türkei über das Verbot freuen. Es entlarvt Erdogan. Legt es doch ein beredtes Zeugnis von der Hilflosigkeit des Ministerpräsidenten ab. Wer sich schon von 140 Zeichen – so lange ist eine Twitter-Nachricht maximal – bedroht fühlt, wird im Kampf gegen die neue Zeit den Kürzeren ziehen. Und weil sowohl Truthahn als auch Türkei in der englischen Sprache kurioserweise als „Turkey“ bezeichnet werden, liegt man nicht falsch wenn man vorhersagt: Es dauert nicht mehr lange und der türkische Gockel wird richtig Federn lassen müssen.