Viele wissen es vielleicht nicht. In den mittleren 1960er-Jahren entwickelte ich für den japanischen Autoproduzenten Subaru den Prototyp eines Weltspitzenautos. Weltspitzenauto. Das Wort muss man für Zuspätgeborene erklären. So nannte man in der professionellen Autoquartettszene einst Raketenfahrzeuge, die um die 1000 Kilometer pro Stunde auf den Tacho brachten. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Das Datum war der 14. Dezember 1966 – ein Mittwoch. Just am Tag unserer Jungfernfahrt war der große Salzsee in Utah ausgebucht und wir mussten kurzfristig auf den zugefrorenen Neusiedlersee ausweichen.
Mit wir meine ich mich und meinen damaligen Schwager Carl, den Zwillingsbruder meiner ersten Gattin Eloise. Wir ergänzten uns gut: Er hatte eine Schwester, ich einen Bruder. Auch in Sachen Automechanik gingen wir d’accord. Trotzdem gerieten wir uns mitunter in die Haare. Er fand, ich hätte mich designtechnisch zu wenig vom männlichen Geschlechtsteil emanzipiert. Ich hielt dem entgegen, dass wir nicht mehr in den Fuffziger-Jahren lebten. Und dass der Kolben nun mal das Symbol der neuen Zeit sei. Außerdem fand ich den Namen „Golden Rod“ blöd, wollte das Fahrzeug lieber „Hugo Ball“ nennen. Aber Carl bestand darauf. Der Name war eine Hommage an Rod am Berg, ein Stadtteil von Neu-Anspach im Hochtaunuskreis. Dort war Carl einst in den Wirren der letzten Kriegstage zur Welt gekommen.
Im Nachhinein war das alles egal. Das goldene Teil fuhr sowieso nicht, weil wir den Benzinkanister am Flughafen in Salt Lake City stehen hatten lassen. Schön blöd, dass es im ganzen Burgenland damals noch keine einzige Tankstelle gab. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wenige Tage später kam Carl auf tragische Weise ums Leben. Sekundenschlaf. Ausgerechnet während eines illegalen Autorennens in Katmandu. Kurz darauf kam ich das erste Mal mit psilocybinhaltigen Pilzen in Berührung, gründetet die Rockband „Die Tore“, ließ die Ehe mit Eloise von der Heiligen Kurie annullieren, hängte meinen Job bei Subaru an den Nagel und arbeitete fortan in der interdisziplinären Erwachsenenbildung. Was soll ich sagen? Die Jahre sausten dahin wie ein Weltspitzenauto auf Salz. Was wohl aus unserem güldenen Geschoss geworden ist? Wahrscheinlich liegt es immer noch am Grund des Neusieldersees, wo es im Februar 1967 tauwetterbedingt versunken ist.