Einer meiner liebsten seltsamen Tonträger stammt aus der DDR. 1971 nahm der spätere Tatort-Kommissar Manfred Krug gemeinsam mit dem Pianisten Günther Fischer für den staatlichen Musikverlag Amiga eine Mikrorillenplatte auf, die den Namen „Das war nur ein Moment“ trägt. Die Musik klingt wie aus einem Paralleluniversum, in dem Motown nicht in Detroit, sondern in Karl Marx Stadt gegründet wurde und in dem Marvin Gaye im Arbeiter- und Bauernstaat auf die Welt kam und mit Vornamen Manfred heißt.
Beim Ersthören traut man seinen Ohren nicht: Ein antirockistischer Schutzwall, gepresst auf Polyvinylchlorid, der damals gefühlte hundert Lichtjahre oder hundert Weltrevolutionen von jeder zeitgenössischen, deutschsprachigen Musik entfernt war. Von wegen die Mauer muss weg. Völker hört die Signale: Schwerter zu Pflugscharen und Pflugscharen zu Soulplatten! An der Scheibe ist einfach alles toll. Vom psychedelischen Schriftzug am Cover angefangen, über Krugs merkwürdig-holprige Texte, über Fischers vertraute und gleichzeitig fremdartige Arrangements bis hin zum frei erfunden Interview, das auf der Rückseite der Plattentasche abgedruckt ist. Krug unterhält sich dort launisch mit sich selbst, oder besser mit einer fiktiven Journalistin, die den schicken Namen Isa Karfunkelstein trägt. Eine der abgedruckten Fragen lautet: Herr Krug, warum sind sie so schlecht rasiert?
Die Platte ist der schwarze Schwan der gesamtdeutschen Popgeschichte. Eine sphinxhafte Preziose irgendwo zwischen Otis Redding und Walter Ulbricht. Ein Meisterwerk, das einen betört wie verstört zurück lässt. Eine rätselhafte Anomalie, die den Zuhörer in eine Welt befördert, die womöglich nie existiert hat. Realsozialistischen Soul ist doch eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, oder? Ist es nicht. Denn selbst im Unrechtsstaat DDR war zumindest eines frei: die Seele.